Recht & Rechtsquellen
Rechtsquellen zum Nachbarrecht
Bei einer nachbarrechtlichen Fragestellung sind immer verschiedene Rechtsquellen im Auge zu behalten. Ganz grob handelt es sich um die folgenden fünf Bereiche:
- Kommunales Recht: zum Beispiel die Bau- und Zonenvorschriften der Standortgemeinde.
- Kantonales Privatrecht: sehr wichtig sind die kantonalen Einführungsgesetze zum ZGB.
- Kantonales öffentliches Recht: zum Beispiel die Strassen- und die Baugesetzgebung
- Bundesprivatrecht: vor allem das im ZGB verankerte Nachbarrecht.
- Öffentliches Recht des Bundes: zum Beispiel die Natur- und Heimatschutzgesetzgebung
Bundesrechtliche Bestimmungen
Das Kapprecht
Art. 687 Abs. 1 ZGB lautet: „Überragende Äste und eindringende Wurzeln kann der Nachbar, wenn sie sein Eigentum schädigen und auf seine Beschwerde hin nicht binnen angemessener Frist beseitigt werden, kappen und für sich behalten.“
Damit gewährt das ZGB dem betroffenen Nachbarn ein Selbsthilferecht. Es kann allerdings nur ausgeübt werden, wenn verschiedene Voraussetzungen erfüllt sind:
- Schädigung: Die fraglichen Äste und/oder Wurzeln müssen auf dem Nachbargrundstück eine erhebliche, über das gewöhnliche Mass hinausgehende Schädigung bewirken. Die Beeinträchtigung ist grundsätzlich dann erheblich, wenn sie auch von einem normal empfindlichen Nachbarn unter den gegebenen Umständen als übermässig empfunden würde.
- Beschwerde: Der betroffene Nachbar muss gegen die fraglichen Äste und/oder Wurzeln protestieren und die Beseitigung des Überhangs verlangen.
- Fristansetzung: dem Besitzer der Nachbarliegenschaft ist eine angemessenen Frist zu setzen, innert welcher er den Überhang zu beseitigen hat. Die Beschwerde und die Fristansetzung erfolgen mit Vorteil schriftlich.
Ist eine dieser Voraussetzungen nicht erfüllt, besteht kein Kapprecht. Sind sämtliche Voraussetzungen für die Ausübung des Kapprechts erfüllt, dürfen Äste und/oder Wurzeln nur insoweit gekappt werden, als zur Beseitigung der Beeinträchtigung notwenig, wobei ein Rückschnitt maximal bis zur Grundstücksgrenze zulässig ist. Dies sind nur allgemeine, unverbindliche Hinweise. Massgebend sind die konkreten Verhältnisse im Einzelfall.
Übermässige Immissionen
Nach Art. 684 ZGB ist jedermann verpflichtet, bei der Ausübung seines Eigentums, wie namentlich bei dem Betrieb eines Gewerbes auf seinem Grundstück, sich aller übermässigen Einwirkung auf das Eigentum der Nachbarn zu enthalten. Verboten sind insbesondere alle schädlichen und nach Lage und Beschaffenheit der Grundstücke oder nach Ortsgebrauch nicht gerechtfertigten Einwirkungen durch Rauch oder Russ, lästige Dünste, Lärm oder Erschütterung.
Der Vorbehalt zugunsten der Kantone
Nach Art. 688 ZGB sind die Kantone befugt, für Anpflanzungen je nach der Art des Grundstückes und der Pflanzen bestimmte Abstände vom nachbarlichen Grundstück vorzuschreiben oder den Grundeigentümer zu verpflichten, das Übergreifen von Ästen oder Wurzeln fruchttragender Bäume zu gestatten und für diese Fälle das Anries zu regeln oder aufzuheben.
Alle Kantone haben entsprechende Abstandsvorschriften erlassen. Sind meistens in den kantonalen Einführungsgesetzen zum ZGB enthalten. Eine Übersicht bietet
Wichtige Bundesgerichtsurteile
Bundesrechtliche Mindestgarantie
Um sog. negative Immissionen handelt es sich, wenn von einem Grundstück Stoffe oder Energien abgehalten werden oder wenn die Aussicht behindert wird. Pflanzen können negative Immissionen verursachen, indem sie dem Nachbargrundstück Licht entziehen (bzw. Schatten werfen) oder eine Aussicht verhindern. Lange Zeit war umstritten, ob vom Begriff der Einwirkung im Sinne von Art. 684 ZGB neben den materiellen auch die negativen Immissionen erfasst werden. Im Jahre 2000 entschied das Bundesgericht in einem Fall aus Stallikon ZH in grundsätzlicher Weise, dass auch negative Immissionen vom Begriff der Einwirkung von Art. 684 ZGB erfasst werden. Es stellte zudem fest, dass auch negative Immissionen von Pflanzen darunter fallen, obwohl Art. 688 ZGB den Kantonen das Recht vorbehält, für Pflanzungen bestimmte Abstände vom nachbarlichen Grundstück vorzuschreiben. Laut Bundesgericht hat der bundesrechtliche Immissionsschutz die Bedeutung einer Mindestgarantie, wenn der kantonalrechtliche Immissionsschutz trotz Nichteinhaltung der Abstandsvorschriften versagt, beispielsweise weil der Beseitigungsanspruch verjährt ist. Die Art. 679/684 ZGB umschreiben also „das landesweit geltende Minimum dessen, was Nachbarn einander schulden.“
Ortsübliche Immissionen sind zu dulden
Das Bundesgericht hatte sich mit einer Streitigkeit zu beschäftigen, in welcher es um die Verschmutzung einer Strasse durch Laubfall von überragenden Ästen ging. Es handelte sich um ein Villenquartier ohne Durchgangsverkehr. Strassenbenutzer waren im Wesentlichen die Bewohner des Quartiers. Praktisch um jedes Haus stehen Bäume, zum Teil dicht, so dass sie Waldcharakter vermitteln. Die Bäume machen einen wesentlichen Teil des Quartiercharakters aus. Der Laubfall im Herbst dauert kaum mehr als einen Monat.
Das Bundesgericht hielt fest, dass Laubfall – namentlich in Verbindung mit Nässe und kalter Witterung – Strassen erfahrungsgemäss glitschig machen und insoweit zu einer gewissen Beeinträchtigung führen kann. Eine solche Beeinträchtigung gelte aber normalerweise nicht als übermässig im Sinne des Art. 684 ZGB. Angesichts der örtlichen Gegebenheiten sei Laubfall auf dem fraglichen Strassenabschnitt nichts Aussergewöhnliches. Dass bei Laubfall, insbesondere in Verbindung mit Schnee, Eis und Regen besondere Vorsicht am Platz sei, entspreche allgemeiner Erfahrung und könne vorausgesetzt werden. Die in Frage stehende Beeinträchtigung dauere kaum mehr als einen Monat, und man sei ihr, anders als bei Rauch, schlechten Dünsten oder Schattenwurf, nicht einfach ausgeliefert, sondern könne sich dagegen wappnen, indem man vorsichtig fahre und die Geschwindigkeit den Strassenverhältnissen anpasse. Es könne nicht von einer übermässigen Einwirkung von Art. 684 ZGB gesprochen werden.